Wenn man sich von Soest ins Sauerland begibt, fährt man zunächst ein Stück durch die flache südwestliche Soester Börde und stößt bei Wickede auf den Ruhrtalradweg. Dieser Piste folgte ich bis Fröndenberg, wo ich mich südlich orientierte, um über Menden und Hemer nach Altena zu radeln. Die 10 km lange Steigung nach Ihmert wurde mit einer schönen Abfahrt hinunter zur Lenne belohnt. Oberhalb des Flusses befindet sich die Burg Altena aus dem 12. Jahrhundert. Dort richtete im Jahr 1914 Richard Schirrmann die weltweit erste ständige Jugendherberge ein. Die JH gibt es in der Burg neben dem Museum Weltjugendherberge immer noch, ich hatte aber mein Tagesziel noch nicht erreicht und setzte meine Fahrt fort. Dabei musste ich bis Lüdenscheid wieder bergan radeln. Immerhin entschädigten zu Beginn des Anstiegs das gute Wetter und der schöne Blick auf die Burg Altena für die Anstrengungen.
Zu Lüdenscheid ist nicht viel zu sagen. Aus dem Tal der Lenne geht es beständig bergauf. Der Stadtkern von Lüdenscheid liegt auf einer Höhe von etwa 420 m.
Mein Tagesziel Gummersbach im Bergischen Land war noch lange nicht erreicht. Und bergig wurde es! Die Anstrengung war es aber wegen der schönen Landschaft wert. Nach 138 km über Berg und Tal und auf einem tollen Radweg, der auf einem stillgelegten Bahndamm angelegt worden war, kam ich gegen 21:30 Uhr im von mir gebuchten Hotel an. An ein Abendessen war um diese Uhrzeit nicht zu denken. Umso mehr freute ich mich auf das Frühstück am nächsten Tag.
Außerdem hatte ich reichlich Gelegenheit, die Ereignisse des Tages Revue passieren zu lassen, und zwar insbesondere meine unerfreuliche Begegnung mit Herrn Dipl.-Ing. Robert Horst Becker aus Kierspe-Rönsahl. Herr Becker ist Vorsitzender des Vereins "Historische Brennerei Rönsahl e.V.". Als ich nach meiner Berg- und Talfahrt in Rönsahl in der Brennerei einkehrte, um meinen Durst mit einem Mineralwasser zu löschen, war der Verein draußen fröhlich versammelt. Ich hielt mich nicht sehr lange in der Gaststube auf, vielleicht eine Viertelstunde, und setzte dann meine Fahrt fort. Ich hatte gerade den Nachbarort Ohl erreicht, als mich Herr Becker in seinem Auto überholte und vor mir bremste. Er stieg aus und gab mir ein Zeichen, anzuhalten. Ich dachte zunächst, er wollte mir zeigen, wo der Radweg nach Marienheide beginnt. Er hatte aber ein ganz anderes Anliegen:
"Sie waren doch eben in der Brennerei!"
"Ja."
"Unsere Vereinskasse ist weg, und Sie waren der einzige Fremde. Wir vermuten, dass Sie die Kasse mitgenommen haben!"
"Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe Ihre Kasse nicht! Ich befinde mich auf einer längeren Radtour, und eine Vereinskasse zu
klauen, ist nicht Teil meiner Reiseplanung. Sie müssen Ihre Kasse woanders suchen."
"Vielleicht sollte ich die Polizei verständigen!"
"Gute Idee! Dazu würde ich Ihnen auch raten!"
"Sie können die Kasse aber auch zurückgeben und die Sache ist erledigt. Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Das Geld in der Kasse ist
alles, was wir haben!"
"Ich sagte doch schon, dass ich Ihre Kasse nicht habe. Schauen Sie sich mein Gepäck an. Wo soll ich denn da eine Kasse versteckt
haben?"
"Sie waren der einzige Fremde in der Brennerei. Wer soll die Kasse denn sonst mitgenommen haben?"
Beckers Handy klingelt. Seine Tochter ist am Apparat.
"Ja, wir unterhalten uns gerade."
"Ich gebe Ihnen gerne meine Personalien, denn ich wüsste gerne, wo Ihre Kasse abgeblieben ist."
"Ja, gut. Hier ist meine Karte. Entschuldigen Sie vielmals, aber Sie waren der einzige Fremde in der Brennerei, daher fiel der Verdacht
auf Sie!"
Ich gab Herrn Becker meine Handynummer und fuhr weiter.
Am nächsten Tag sah ich auf meinem Handy, dass er versucht hatte, mich zu erreichen. Ich rief zurück und erfuhr, dass die Kasse unter einem Geschirrtuch gefunden wurde. Herr Becker entschuldigte sich nochmals und lud mich zu sich ein, wenn ich mal wieder in der Gegend weilen würde. Ich habe allerdings an einer weiteren Begegnung mit ihm absolut kein Interesse. Darf man so einfach einen Menschen des Diebstahls verdächtigen, weil er "ein Fremder" ist?