Saint-Nectaire hat eine Unter- und eine Oberstadt. Im Tal befinden sich Thermalquellen und Bäder. Wer die romanische Kirche besichtigen möchte, muss nach Saint-Nectaire-le-Haut hinauffahren. An diesem Sonntag lohnte sich der Aufstieg aus mindestens drei Gründen: Nach dem leichten Regen in der Nacht schien die Sonne wieder, auf dem Platz vor der Kirche waren Marktbuden aufgebaut - und wäre es nicht so früh gewesen, hätte ich gerne noch einmal Aligot gegessen - sowie die Kirche an sich (Lage und Architektur). Hinzu kommt, dass auf die Anhöhe mit der Kirche die D 150 führt. Wenn man diese Straße weiterfährt - und es geht zunächst kräftig bergan -, dann hat man auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfes einen traumhaften Blick auf die Kirche und den Ort drumherum, auf die Burg Murol und die Monts Dore.


Die relativ kurze Strecke von Saint-Nectaire nach Saint-Saturnin war mit Sicherheit einer der landschaftlichen Höhepunkte meiner Radtour! Dabei spielten auch die köstlichen reifen Brombeeren am Wegesrand eine wichtige Rolle.


Während der Abfahrt nach Saint-Saturnin merkte ich, dass meine Bremsen nicht mehr so richtig griffen. Wie sollte ich mich diesbezüglich verhalten? Einerseits war ich im vergangenen Jahr ja auch den Beartooth Highway mit nur einer funktionierenden Bremse hoch und wieder runtergefahren und hinter Saint-Saturnin käme ich in die flache Limagne. Andererseits konnte ich aber auch versuchen, die Hinterbremse zu reparieren. Saint-Saturnin mit einer weiteren Hauptkirche der auvergnatischen Romanik lud erst einmal zu einem Spaziergang mit Denkpause ein. Danach hatte ich Hunger und fand ein nettes Restaurant mit Terrasse. Jetzt würde ich die Bremse reparieren und dann nach Vichy fahren - dachte ich. Meine Reparaturversuche hatten allerdings zur Folge, dass die Hinterradbremse jetzt völlig im Eimer war. Da auch die Vorderradbremse nicht mehr voll funktionsfähig war, schien die Lösung zu sein, in Saint-Saturnin zu bleiben und am nächsten Tag eine Fahrradwerkstatt aufzusuchen. Dazu hatte ich aber keine Lust und so fuhr ich erstmal weiter in die Ebene hinunter und südlich um Clermont-Ferrand herum. Nach 32 km entdeckte ich in Le Cendre-Orcet einen Bahnhof. Damit war entschieden, dass die Vernunft walten und ich mit der Bahn nach Vichy fahren würde. Aber gab es sonntags überhaupt einen Zug? Gab es: Abfahrt 16:59 Uhr nach Clermont-Ferrand. Die Fahrt würde 12 Minuten dauern und in Clermont gäbe es bestimmt einen Anschlusszug nach Vichy. Jetzt war es aber noch nicht einmal 14 Uhr. Was sollte ich in den nächsten drei Stunden machen? An Sonntagnachmittagen herrscht auch in der französischen Provinz "tote Hose". Ich fuhr ins Ortszentrum und quartierte mich auf einer Bank auf dem Hauptplatz ein. Dort wurde ich von einem Mann in meinem Alter angesprochen: Woher? Wohin? Warum? Wir unterhielten uns angeregt über das Radfahren allgemein und über längere Radtouren im Besonderen. Schließlich wurde ich eingeladen, mit nach Hause zu kommen. Ich zögerte erst, weil ich keine Umstände machen wollte, ging dann aus Neugierde aber doch mit. Im nahem Wohnhaus waren Jung und Alt inklusive der 98- jährigen Mutter von Guillaume versammelt. Sein Neffe hatte am Vortag geheiratet und so waren viele Familienmitglieder in seinem Haus versammelt. Bei Bier und Badoit unterhielten sich die Männer angeregt über Napoléon, Sprachen, die Immigration und das soziale Netz, während die Frauen damit beschäftigt waren, aufzuräumen. So verging die Zeit wie im Fluge und um halb fünf verabschiedete ich mich von Guillaume und seiner Familie und machte mich auf den Weg zum Bahnhof. Der Anschluss in Clermont-Ferrand klappte prima. Um 18:30 Uhr war ich in Vichy und quartierte mich für zwei Nächte im Hôtel du Rhône ein.