Ankunft in Uelzen am Nachmittag. Das Hotel am Stern ist nicht weit vom Bahnhof und innenstadtnah. Ich hatte Zeit für einen spätnachmittäglichen Spaziergang durch die mir sehr vertrauten Straßen des Zentrums der "Heidemetropole", für Kuchen und Tee im Café Stadtgarten und für den Besuch eines Barbershops.


Vielleicht auch wetterbedingt machte die Stadt nicht gerade den freundlichsten Eindruck. Zwar hat das Modehaus Ramelow in der Bahnhofstraße / Ecke Ringstraße alle Höhen und Tiefen überlebt, aber die Kaufhalle war zugenagelt. Klappenbach ist ein Ceka-Kaufhaus und Röll eine Apotheke. Einige Traditionsgeschäfte wie das Schuhhaus Höber, Juwelier Hennings und die Fleischerei Bardowicks laden nach wie vor zum Einkauf ein, andere wie das Radiohaus Nolte, das Herrenmodegeschäft Harms und Hussel gibt es nicht mehr. Bei Hussel konnte man früher Traditionsbonbons kaufen: Hosenknöpfe, Pfefferminzkissen und die köstlichen Goldnüsse. Jetzt muss man sie online bestellen ...


Am traurigsten sah es am Schnellenmarkt aus. Der von Bildhauer Georg Münchbach - seine Frau war meine Kunstlehrerin an der Ebstorfer Mittelschule - gestaltete Brunnen ist von Fachwerkhäusern umgeben, die sich leider in einem schlechten Zustand befinden. An den wenigen verbliebenen Geschäften in der Rademacher- und in der Schmiedestraße kann man getrost vorbeilaufen. Immerhin "pulsiert" das Leben tagsüber nach wie vor in den drei Marktstraßen (Gudesstraße, Veerßer Straße, Lüneburger Straße), bis um 19 Uhr überall die Bürgersteige hochgeklappt werden. Ich hatte Glück und konnte im Restaurant Einstein in der Achterstraße meinen Appetit auf eine Pizza stillen.


Das Frühstück im Hotel am Stern verdient mindestens fünf Sterne, und das bei einem Zimmerpreis von 35 Euro! Sattgegessen und voller Tatendrang machte ich mich auf den Weg nach Schabbach ... Natürlich nicht, denn Woppenroth alias Schabbach liegt im Hunsrück und nicht in der Lüneburger Heide. Aber irgendwie kam mir die Situation bekannt vor: Der ausgewanderte Sohn kehrt in sein Dorf zurück. Der Unterschied: Ich hatte nicht vor, länger zu bleiben. Mein Verhältnis zu meinem Heimatdorf Melzingen ist von Hassliebe geprägt. Vielen schönen Erinnerungen steht das Bedürfnis gegenüber, diesen Ort weiträumig zu umfahren. Das geht aber leider nicht, weil die Kreisstraße von Uelzen nach Ebstorf durch Melzingen führt. Außerdem habe ich dort noch Verwandtschaft! Mein Melzingen der Jahre 1951 bis 1970 zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Reiseberichts sprengen. Vielleicht bietet sich mal eine andere Gelegenheit, Melzinger Geschichten zu Papier zu bringen. Als unsere Mutter am 28. Oktober 1994 ihren 86. Geburtstag feierte und der Riesling ihre Zunge gelockert hatte, erzählte sie stundenlang von ihren Erlebnissen im Melzingen der Kriegsjahre und Nachkriegszeit. Wir kannten die Geschichten schon, nutzten aber die Gelegenheit, eine Tonaufnahme von Mutters Geschichten zu machen. Diese zu Papier zu bringen und eigene Erlebnisse hinzuzufügen, ist ein lohnenswertes Vorhaben, das ich an den kommenden langen Winterabenden in Angriff nehmen werde. Ihr dürft gespannt sein ...!


In Ebstorf wurde ich in der Klosterkirche St. Mauritius getauft und konfirmiert. Hier besuchte ich von 1962 bis 1966 die Mittelschule, eine Realschule, die jetzt Oberschule heißt. Gern erinnere ich mich an meinen Klassenlehrer Uwe Müsing (Englisch, Französisch, Geschichte), und das nicht nur, weil er mir erfolgreich beibrachte, ein englisches  [ ​ɻ ] zu produzieren. Als er 1962 seine Lehrtätigkeit in Ebstorf begann, war er Ende 20, und junggeblieben ist er mit Mitte 80 bis heute . Es war ein Vergnügen, sich mit ihm in Anwesenheit seiner Frau auf der Terrasse ihres Hauses in Ebstorf zu unterhalten und sich dabei an Mitschülerinnen und Mitschüler zu erinnern.


Ebstorf ist ein kleiner Ort. Eine Rundfahrt vorbei an der Schule, am Domänenplatz und an der Kirche war schnell erledigt. Nach einem abschließenden Besuch des Friedhofs, auf dem meine Eltern und mein ältester Bruder begraben sind, fuhr ich über Altenebstorf und Wittenwater nach Melzingen, um meine Schwägerin Bärbel zu besuchen und beendete meine Tour am frühen Abend in Uelzen (50 km) mit einem kurzen Abstecher zur alten Herzog-Ernst-Schule (1966-1969) und zum neuen Herzog-Ernst-Gymnasium (1969-1979). Zufällig entdeckte ich in der Buchhandlung Thalia "Das Herzog-Ernst-Gymnasium 1969" von Eckart Warnecke (2/2020) mit Schülergeschichten aus der Zeit des Umzugs von der Schiller- in die Albertstraße und konnte dem Erwerb eines Exemplars nicht widerstehen, werden doch in den Geschichten viele Ereignisse und Personen - Lehrer/Lehrerinnen und Schüler - aus "meiner Zeit" am HEG beschrieben.